Kultur und Sport im Dialog – Ein Bericht

22. Juli 2013

Rathausgespräch, 28.02.2013
Kultur und Sport im Dialog

Mitwirkende:

Jürgen Nimptsch – Dietmar Kanthak – Stephan Berg – Moritz Seibert – Michael Scharf –
Lutz Thieme – Martin SchumacherPünktlich um kurz nach halb acht tritt OB Jürgen Nimptsch ans Rednerpult und begrüßt die Mitwirkenden und Zuschauer. Im Hinblick auf das Thema des Abends weist er auf die über 2000jährige Geschichte Bonns hin und freut sich auf Diskussionen, die auch zu kontroversen Themen geführt werden. Er stellt klar: “Am Schluss müssen alle zufrieden sein.“

Bevor er das Wort an den Moderator Dietmar Kanthak vom Generalanzeiger Bonn abgibt, erwähnt er noch zwei Sachhinweise zum Thema. Bezüglich des Sports konnte im neuen Haushalt “ein erster guter Schritt gemacht werden.“ Auch beim Theater Bonn wird es eine neue Entgeltordnung mit deutlichen Preiserhöhungen geben, die Zahl 100 wäre erstmals dabei.

Dietmar Kanthak stellt sich kurz vor. Als Kulturjournalist hat er die Debatte im letzten Jahr verfolgt, versucht jedoch unparteiisch die Diskussion zu leiten. Das gelang dem Feuilleton-Chef des GA ausgezeichnet. Nach einer kurzen Vorstellung der Diskutanten hatte jeder die Möglichkeit, seinen Bereich kurz vorzustellen. Dabei wurde bereits auf einen Unterschied zwischen städtischen (öffentlichen) Institutionen und städtisch (öffentlich) geförderten Institutionen hingewiesen.

Stephan Berg, Intendant des Kunstmuseums Bonn, fasste kurz die Kennzahlen des in seiner Verantwortung stehenden Museums zusammen:

  • rein städtisches Museum
  • 5.5 Millionen Euro Gesamtetat
  • für Produktion stehen allerdings nur 300.000 Euro zur Verfügung
  • 150.000 Euro für Ankäufe
  • 2.5 Millionen Euro für 35 fest angestellte Mitarbeiter und die Kassen- und Aufsichtskräfte

Stephan Berg weist auf die Möglichkeiten z. B. des Kämmerers hin, die Sammlung zu beleihen. Die Zinsen würden dann den Kosten des Museums zugeschlagen.

Moritz Seibert, Intendant und Geschäftsführer des Jungen Theaters Bonn, spricht für das erfolgreichste Privattheater der Bundesrepublik.

  • städtischer Zuschuss 145.000 Euro
  • Mietzuschuss 35.000 Euro
  • Landeszuschuss 35.000 Euro
  • Gesamtetat 1.3 Millionen Euro
  • 1.1 Millionen Euro werden selbst verdient, entspricht 85 %

Er spricht von schwierigen Verhältnissen. Das große Engagement der Mitarbeiter ist riesig aber notwendig, und das bei deutlich weniger Gehalt als üblich. Man ist auf Einnahmen angewiesen, und kann deshalb kein großes künstlerisches Risiko eingehen. Man müsse schauen, dass die Bude voll ist.

Lutz Thieme, Vorsitzender der SSF Bonn: 8500 Mitglieder, erläutert die Aufstellung des größten Bonner Sportvereins.

  • 1.5 Millionen Euro Etat aus Mitgliedsbeiträgen
  •  1000 Stunden ehrenamtliche Arbeit pro Woche
  • Sportstätten kostenfrei von Stadt

Im Verein gehe es in erster Linie darum, was die Mitglieder wollen. Jedoch treten neben der sportlichen Betätigung auch starke Effekte in Richtung Erziehung und Fairplay auf.

Michael Scharf spricht für die Initiative Pro Sportstadt Bonn.

In Bonn gibt es eine Vielfalt von unterschiedlichen Vereinen, kleine Vereine mit 50 Mitgliedern bis zu großen mit über 8000 Mitgliedern. Die größten Probleme haben mittelgroße Vereine (500 bis 1000 Mitglieder), da sich diese im Gegensatz zu den großen Vereinen noch keine hauptamtlichen Geschäftsführer leisten können die umfangreiche Arbeit also ausschließlich durch Ehrenämtler erledigt werden muss.

Dietmar Kanthak nimmt Bezug auf die Aschermittwochsrede des OBs, der sagte, bei einem Gesamtetat von 1 Milliarde Euro sind 4/5 gesetzlich vorgeschrieben, die Kultur bekommt 7.5 %, das seien 40 % aller freiwilligen Leistungen.

Michael Scharf wies auf die städtische Kürzungen 2011 hin, wo viele Vereine in Existenznot kamen; ein Grund für die Gründung der PSB. Die Ressource Geld sei begrenzt, der Sport benachteiligt.

Lutz Thieme schlug in die gleiche Kerbe. Der Sport sei nicht nur in der Höhe benachteiligt, sondern auch strukturell. Glaube denn die Stadtgesellschaft, dass der Sport in Bonn derzeit gut aufgestellt sei? PSB diente als Katalysator, die Diskussion wäre ohnehin gekommen. PSB hat gute Argumente für eine Veränderung in der Förderpolitik. Das Bewusstsein für begrenzte Ressourcen sei bei verschiedenen Kulturvertretern begrenzt. In einer saturierten Stadtgesellschaft wie der Bonner, würde der Erfolg einer Stadtgesellschaft auch beim notwendigen Rückbau von Infrastruktur sichtbar.

Moritz Seibert hält die Kürzungen bei der Oper, wie von PSB gefordert, nicht für sinnvoll. Wichtig sei die Attraktivität einer Stadt. Alle bräuchten auskömmliche Rahmenbedingungen, jedoch müsse die Balance wieder hergestellt werden. Dazu gäbe es unterschiedlichste Auffassungen.

Nach Stephan Berg “zeigt die Schärfe in der Debatte, was uns perspektivisch in einigen Jahrzehnten erwartet.“ Man könne nur miteinander bestehen. Es sei problematisch, die Debatte einseitig zu ökonomisieren. Vergleiche seien nur schwer möglich. Es sei auch eine mediale Debatte. “Die Wirklichkeit ist komplexer als ein Kuchendiagramm.” Stephan Berg weist abermals darauf hin, dass man unterscheiden muss. Es sei ein Unterschied zwischen städtischer Einrichtung und städtisch geförderter Einrichtung.

Lutz Thieme erläutert, dass die beschränkten Ressourcen, sowohl geldlicher, als auch zeitlicher und personeller Art, so eingesetzt werden müssten, das sie den meisten Nutzen bringen. Und das sowohl in sozialer Hinsicht als auch für die Identität der Stadt, der Integration und des Fairplay.

Stephan Berg ist dagegen der Meinung, das die Nutzenfrage sich nicht stelle, das Kultur und Sport gleichermaßen wichtig für die Stadtgesellschaft sei.

Dietmar Kanthak nimmt dann Bezug auf die Misstöne Ende 2012 in der Debatte. Aus Sportsicht “werde in der Prestigekultur Geld verballert“ und Kulturvertreter sprachen von einer “sinistren Initiative“ im Bezug auf PSB.

Michael Scharf mahnt feste Standards für Vergleiche an. In Bonn stünde man bei einem Verhältnis von 1:6 in der Förderung von Sport im Vergleich zur Kultur. In Köln sei man bei 1:3, in Düsseldorf bei 1:2,5. Schon das zeigt, dass der Sport in Bonn unterfinanziert ist. Man müsse eine gemeinsame Grundlage zur Lösung der Probleme finden. Das ganze Thema sei natürlich emotionalisiert. Das bleibe auch die offene Flanke bei der Debatte.

Der nächste Punkt, den Dietmar Kanthak anspricht, ist die Zukunft, Visionen und Konzepte. Er fragt Stephan Berg, welche Stadtgesellschaft haben wir 2025/2035?

Stephan Berg erwähnt den aus seiner Sicht großen Partikularismus Bonns. Bonn begreife sich nicht als eine Stadt und bringt als Beispiel Beuel und Bad Godesberg. Er hoffe, dass man stärker versucht, gemeinschaftliche Ziele zu finden. Die Erwartungen an die Gesellschaft hätten sich radikal verändert. Man erwarte ein individuell zugeschnittenes Angebot. Er bemängelt eine zunehmende Egozentrierung, spricht von der “Entfesselung der Individualität“.

Kanthak fragt Moritz Seibert, was muss sich verändern in den nächsten 10–15 Jahre?

Moritz Seibert meint, man sei gar nicht soweit entfernt von “der Stadt”. Die Mittel werden weiter sinken. Man müsse den Weg trotz unterschiedlicher Priorisierung und Schwerpunkte finden. Die Frage, der sich das Theater stellen müsse: Welche Aufgaben  muss das Theater zukünftig übernehmen?

Als letzten Punkt wirft Kanthak die Frage nach der Deutungshoheit auf.

Die gesellschaftlichen Bereiche verkomplizieren sich weiter, so Lutz Thieme. Ehrenamtliches Engagement sei für den Einzelnen nur noch in einem bzw. wenigen Bereichen möglich. So tritt der ehrenamtlich engagierte Sportler als Konsument z. B. des Kunstmuseums auf, während der am Kunstmuseum angestellte Kunstwissenschaftler den Sportverein als Dienstleister begreife.

Michael Scharf weist darauf hin, das die Debatte anderswo noch unter der Decke sei, aber in den nächsten Jahren zunehmen wird. Bonn sei in dieser Hinsicht Vorreiter. Für die Zukunft müsse ehrenamtliches Engagement eingefordert werden, nur Konsumentenhaltung des Einzelnen sei fatal. Weniger Verwaltung und mehr bürgerschaftliches Engagement ist für Bonn wichtig. Genauso sei es wichtig auf die sich verändernde Stadtgesellschaft (Stichwort Migration und Integration) Rücksicht zu nehmen und sich an dem zu orientieren, was Zukunft für Bonn bedeutet. Hierzu wäre eine Hinwendung auf die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen in Bonn notwendig. Eine gute Plattform biete hier die Offene Ganztagesgrundschule. Hier könnten Sport und Kultur in das Nachmittagsprogramm integriert werden, damit bei der OGS zukünftig eine hochwertige inhaltliche Betreuung realisiert wird. Hier sei auch ein konkreter Ansatzpunkt wie Sport und Kultur miteinander Zukunft in Bonn gestalten.

Lutz Thieme führt als Beispiel die überschlägig ermittelten 200 Millionen Euro Sanierungsstau im Bonner Sportbereich (Turnhallen, Sportplätze, Schwimmhallen) an. Selbst durch eine radikale Umschichtung sei diesem Sanierungsstau nicht beizukommen. Man müsse die Kraft der Bürgerschaft für Investitionen in Sportstätten nutzen und den Vereinen mehr Vertrauen schenken.

Nun hatte das Publikum das Wort und konnte Fragen stellen und Meinungen äußern. Hier eine kleine Auswahl:

  • Ein Vater zweier Söhne fragt, warum man für die städtische Musikschule mehr und höhere Gebühren bezahle, auf der anderen Seite aber jeden Theater- und Opernbesuch mit 170€ bezuschusse. Die Musikschulgebühren befänden sich auf einem Niveau, dass sich das nur besser Verdienende überhaupt leisten könnten. Während man in der Gesellschaft immer darauf hinweist, dass die Jugend an Kunst und Kultur herangeführt werden soll und muss, werden hier finanzielle Hürden aufgebaut, statt abgebaut. Die Musikschule ist so unterfinanziert, dass es lange Wartelisten gibt und Kinder in vielen Fällen nicht das von den Musikpädagogen empfohlene Instrument erlernen könnten.
  • 2.5 Millionen Euro Personalkosten bei 35 Mitarbeitern beim Kunstmuseum Bonn ergibt durchschnittlich ca. 70.000 Euro pro Jahr, wie geht das? – Stephan Berg weist darauf hin, dass in diesen Kosten auch die nicht fest angestellten Aufsichten und Kassenkräfte enthalten seien.
  • Kultur und Sport seien nach der Landesverfassung NRW gleichgestellt, dann müssten sie auch gleich gefördert werden.
  • Der Zuschuss des Landessportbundes wird im allgemeinen Haushalt verbucht und kommt nicht den Sportvereinen zugute. Ist das gerecht?
  • Sport und Kultur müssen gemeinsam gegen die eigentliche Ursache der chronischen Unterfinanzierung der Kommunen auftreten.
  • Sport und Kultur gehören zusammen.
  • Die Stadt finanziert den Sport in Bonn mit 15 Millionen Euro, die Oper mit 18 Millionen, wo ist da der von Sportseite angeprangerte Unterschied? – Lutz Thieme weist darauf hin, dass in diesem Betrag auch die Aufwendungen für den Schulsport enthalten sind, der Vereinssport allenfalls ein Drittel der Nutzungszeiten hat, und somit nur mit etwa 5 Millionen Euro zu betrachten ist.
  • Wie sieht es mit den Zuschüssen der Stadt und des Landes für den Vereinssport aus? Das sind doch auch große Summen. – Lutz Thieme: Den städtische Zuschuss gibt es für die Vereinsjugend, den Landeszuschuss für lizenzierte Trainer, der vernachlässigbar klein ist (64 € pro Trainer und Jahr, Anmerkung PSB)
  • Vorwurf an den Sport, an der Kultur kürzen zu wollen. In der Oper seien viele Menschen hauptamtlich beschäftigt – im Unterschied zu den ehrenamtlich Beschäftigten im Sportbereich. Es sei etwas anderes, ob Menschen Ihrer Freizeitbeschäftigung nachgehen oder mit ihrer Tätigkeit ihren Lebensunterhalt verdienen. Aus diesem Unterschied würden sich unterschiedliche Verpflichtungen der Stadt ergeben. – Lutz Thieme antwortet, dass auch der Sport hauptamtlich Beschäftigte, wie Geschäftsführer und Trainer, hat.
  • Die gesamtgesellschaftliche Wertschätzung ist wichtig zur Beurteilung. Da diese für die Mittelverteilung wesentlich, aber wissenschaftlich nicht zu messen ist, sollten die Bürger entscheiden, ob sie mit der bestehenden asymmetrischen Verteilung der freiwilligen Leistungen (Hochkultur gegenüber Sport, Musikschule, Bibliothek, freie Kultur, Stadtgrün etc.) einverstanden sind.

Martin Schumacher, Kultur- und Sportdezernent, spricht die Schlussworte. Er bedankt sich für die Diskussion. Es müssten auskömmliche Rahmenbedingungen geschaffen werden. Die Sportfinanzierung reichte in der Vergangenheit nicht aus. Der Sportentwicklungsplan wird angepackt.

(Ohne Anspruch auf Vollständigkeit, wir freuen uns über Kommentare und Meinungen!)