Gelegentlich werde ich gefragt, warum ich mich so für den Fußball interessiere. Es ist das Irrationale an diesem immer komplexer und schneller werdenden Spiel, das fasziniert. Sepp Herberger formulierte in seiner schlichten Sprache: „ Man weiß halt vorher nicht, wie es nachher ausgeht.“ Gelegentlich gelingt es mir, die „Tiefen auf der Oberfläche“ heraus zu kitzeln. [Max Brod. Er schrieb in der Tradition des „Baderomans“ von Jane Austen, die uns allen bekannt ist, weil Paola, die Frau von Commissario Brunetti in Donna Leons Krimis immer wieder Vorlesungen zu diesem Thema hält.]
Oft gelingt es mir nicht, die Tiefe an der Oberfläche zu erkennen. Ich glaube bei der Person Schweinsteigers im WM-Endspiel ist mir das gelungen – vgl. Steilpass nach der WM. Hinzu kommt mein Spaß an den schöpferischen Formulierungsleistungen deutscher Sportreporter. Wer Sebastian Kehl als „Balleroberungsmonster“ begreift und das Klopp-System der frühen Balleroberung für einen Fußballer für so kompliziert hält, dass „einer wie Immobile schon länger als ein halbes Jahr braucht, um das zu kapieren“, [ nach Meinung des Reporters] der liefert auch weiterhin sprachliche Apercus.
„ Landauer – Der Präsident, der Mann, der den FC Bayern erfand“ wurde als Film am 15.10.2014 im „Ersten“ gesendet. Auf Initiative des Bayern-UltraFanclubs „Schickeria“ porträtierte man den früheren Präsidenten des FC Bayern München. Er war als Jude Präsident der Bayern 1932, als das Team zum ersten Mal Deutscher Meister wurde. Dann wurde er unter den Nazis aus dem Amt gedrängt, kam 1938 in das KZ-Dachau. Er konnte in die Schweiz fliehen, während seine Familie von den Naziverbrechern umgebracht wurde. Nach dem Krieg kehrte er zurück und legte den Grundstein, damit sich der FC Bayern zu einem der erfolgreichsten europäischen Clubs entwickeln konnte. Es war ein hochwichtiger Beitrag zum Verhältnis von Fußball und Politik unter dramatischen Umständen und nicht nur mit grinsenden Politikern in der Umkleidekabine der Nationalmannschaft.
Nicht weniger wichtig ist eine Initiative in Dortmund. Dort wird von der Intiative „Ein Dach für Fans“ und Fanclubs aktiv gegen Rechtsextremismus gearbeitet. U.a. wird das frühere Konzentrationslager Auschwitz besucht. Das sind politisch ungemein wichtige Aktivitäten. Man erkennt: Die Ultras in Vereinen wie Bayern oder dem BVB interessiert nicht nur, dass das Runde in das Eckige kommt.
Es war kein Reporter, sondern der frühere Nationalspieler Horst Hrubesch, der nach dem 1 : 0 des HSV in Dortmund uns aufklärte: „ Das war für den HSV der Brustlöser.“ Ich dachte bisher eher an Salbei oder Holunder als Hustenlöser. Aber da ist der Horst schon weiter. Man liest gelegentlich, Tore haben für Fußballer eine therapeutische Wirkung. Es bedurfte der Heilkunde von Sportkamerad Horst, dass das auch für die Brust gilt.
( Bitte im badischen Dialekt lesen) „ Gegge Gibraltar awwer gewinne mir scho“, erklärte Jogi Löw treuherzig nach dem 1 : 1 gegen Irland. Was war passiert? Man traf einmal mehr das Tor nicht und spielte gegen 11 Iren im Strafraum, als ob „ein Tau durchs Nadelöhr“ müsste, wie der RTL-Kommentator meinte. Der Ausgleich der Iren mit der letzten Aktion in der Nachspielzeit ging mit einer kompletten Desorientierung der deutschen Abwehr einher. Die RTL-Sprache, die ich bisher nicht kannte, macht neugierig. „ Nachdem der Toni ein Kind bekommen hat, ist er erwachsener geworden“, kommentierte der Reporter nach seinem Tor zum vorübergehenden 1 : 0. War unser Toni noch Jugendlicher, als er die Grundlage für das Ereignis geschaffen hat ? Hat jetzt der Toni Kroos ein Kind bekommen oder seine Lebensgefährtin ? Woran lässt sich bei einem Tor erkennen, dass einer erwachsener geworden ist. Ich sehe, ich muss noch viel lernen.
Dann überraschte mich der Sprecher mit der Bemerkung: „ Die irischen Fans machen Kapelle“. Er wollte damit sagen, dass die Fans ihre Mannschaft unterstützen. Das ist wohl abgeleitet aus der SMS – Sprache wie „Alles gut?“ oder „Hast Du Rücken ?“ Dieser Entwicklung will ich nicht folgen.
Dabei ist es zur Zeit so, dass andere Größen im Fußball wie Spanien, die Niederlande oder Italien ebenfalls schwächeln. Italien gewann mit Ach und Krach 1 : 0 gegen Malta, Spanien verlor 2 : 1 gegen die Slowakei, die Niederlande 2 : 0 gegen Island. „Briefträgerfußball“, schrieb De Volkskrant dazu, ohne zu erklären, was gemeint ist.
„ Die Polen schmelzen“, meinte meine Mitzuschauerin etwas eigenwillig, angesichts der polnischen Begeisterung nach der deutschen 2 : 0 Niederlage in Warschau.
Nach der Niederlage gegen Italien im Halbfinale der Europameisterschaft 2012 ist das Stadion endgültig nichts für uns.
Eine polnische Zeitung stufte den Sieg sogar als wichtigsten Sieg nach der Schlacht von Tannenberg ein. 1410 besiegte das Königreich Polen zusammen mit dem Großherzogtum Litauen den Deutschen Orden. Es war eine der größten Schlachten zwischen mittelalterlichen Ritterheeren. So hoch wurde der Sieg im Fußball in ganz Polen eingestuft.
Dabei hatten sich in jüngerer Vergangenheit bei Qualifikationsspielen zu internationalen Meisterschaften ( Europa-Weltmeisterschaften) die Polen gegen Deutschland bereits im Basketball, Volleyball und im Handball durchgesetzt.
Die deutschen Fußballer konnten mit ihren vielen Chancen in diesem Spiel einfach nichts anfangen. Da half auch die Bemerkung des Reporters wenig weiter: „ Der Müller hat einen gewaltigen Bumms.“ Hier möchte ich aber die in der Fußballersprache nicht so bewanderten Damen vor einer voreiligen Schlussfolgerung bewahren. Bei der Umwandlung des Substantivs in die Verbform würden sie sich in einen nicht bestätigten Bereich begeben.
In der Bundesliga geht es indes weiter. Bayer Leverkusen hat in Stuttgart ( 3 : 3 ) eine Halbzeit phantastischen Fußball gespielt. Beim dritten Tor durch Bellarabi meinte der Rundfunkreporter: „ Die [Stuttgarter] Abwehr verhielt sich wie beschwipste Schüler auf Klassenfahrt“. So verhielten sich auch die Abwehrspieler des AS Rom im Champion’s League Spiel gegen den FC Bayern ( 1 : 7 ). Der deutsche Reporter fragte nach dem dritten phantasievoll heraus gespielten Bayerntor: „Wo sind die Römer? Die sind nicht da.“ Irgendwo waren sie dann doch. Sonst hätte kein Spiel stattfinden können. Insgesamt kam er zum Resumé: „ Der FC Bayern hat die große Roma an die Wand genagelt.“
Nicht minder farbig unterhielt uns der Reporter über das Spiel Schalke vs. Sporting Lissabon ( 4 : 3 ). Nach einem Platzverweis kombinierte die für Sporting auf 10 Personen reduzierte Truppe sehr gekonnt und hart. „ Sie treten wie die Bürstenbinder“ meinte Reporter Fuß. Hat die schon jemand treten sehen ?
Das 2 : 1 durch Huntelaar begleitete er mit dem Hinweis, dass „ H. mit der Fingerkuppe möglicherweise im Abseits stand.“ Beim 3 : 1 der Schalker gelang ihm einmal mehr ein weiterer Nonsens-Satz, der bei ihm in keinem Spiel fehlen darf: „ Da kam der Verteidiger nicht rechtzeitig aus dem Sattel.“ Beim Ausgleich der Gäste zum 3 : 3 geriet er in Rage. „ Am Pfosten stehen zwei Portugiesen blank. Das darfst Du keinem erzählen.“ Sie standen nicht blank. Sie waren ordentlich angezogen. Das 11-m Tor zum 4 : 3 für Schalke war kurios. In der 93. Minute sprang im Strafraum der Gäste der Ball an den Körper eines Gästespielers. Der Schiedsrichter ließ zunächst weiter spielen. Dann unterbrach er und zeigte auf den Punkt. Für den Torrichter, der am nächsten stand, war das Handspiel. Tatsächlich sprang der Ball dem Spieler aber an den Kopf. Nun hatte der Reporter ein Problem. Wie sollte er das seinem Publikum erklären ? „ Der Torrichter hatte ein Wahrnehmungsproblem.“ Das war eine schöne Untertreibung. Über diese Trottel an der Torlinie habe ich mich ja auch schon öfters aufgeregt. Es gibt bei den Spielen immer mehr davon, ohne dass die Schiedsrichterleistungen besser würden.
Der BVB hat seinen Genesungsurlaub von der Bundesliga mit dem 4 : 0 Sieg bei Galatasaray Istanbul genutzt. Für mich herausragend war Gündogans Vorarbeit zum vierten Tor. Er ließ die halbe Abwehr durch eine unglaubliche Körperdrehung wie Tölpel ins Leere laufen. Seinen zentimetergenauen Pass auf Ramos nutzte derselbe gleich nach seiner Einwechslung zu seinem nächsten Tor in der Champion’s League. Herausragend war auch die Leistung von Sven Bender. Er nahm den niederländischen Weltklassestürmer Wesley Sneijder völlig aus dem Spiel.
Nach dem 2 : 0 von Bayer Leverkusen gegen Zenit St. Petersburg war der deutsche Erfolg aller vier Vereine in der Champion’s League das Ergebnis, das es festzuhalten gilt. Dazu gewannen Mönchengladbach und Wolfsburg in der Euro-League ihre Spiele. Mit dem Nageln haben es zur Zeit die Reporter: „ Die Wolfsburger nagelten Krasnodar auseinander.“
Wie das gehen soll, hat er nicht erklärt. Man kann also etwas zusammen wie auseinander nageln. Es gibt noch eine dritte Variante. Günter Ücker (Gruppe Zero) nagelt formenreich Bilder. Schön war auch des Reporters Hinweis auf Hugo Lopez: „ Im Buch über das Fußball ABC muss unter Fußballkunst diese Szene rein, wie ein Übersteiger nicht geht.“ Lopez stieg zwar über den Ball und ließ denselben einen Meter hinter sich. Sechs Siege in den europäischen Wettbewerben gab es zuletzt Ende 1989.
Spätestens nach dem 7 : 1 in Rom stellt sich die Frage, ob man ein Ergebnis verwalten kann. Am abgeklärtesten können das die Bayern. Nach dem 5 : 0 schalteten sie auf Stand-by-Modus. Dann erzielte der Gegner ein Tor. Das hätten sie besser bleiben lassen sollen. Die Bayern kurbelten das Tempo wieder an. Roma kassierte für diese Aufmüpfigkeit zwei weitere Tore. Schalke und Dortmund können es nicht. Wolfsburg kann es und wird in der nächsten Saison wie Mönchengladbach in der Champion’s League spielen. Bei Leverkusen bin ich mir nicht sicher.
In der Bundesliga kann Dortmund zur Zeit nichts verwalten, weil sie einem Rückstand wie jüngst gegen Hannover nachlaufen und bei besten Chancen das Tor nicht treffen.
„ Fußballer spielen Fußball, um die Dinger rein zu machen. Aber das machen die Dortmunder nicht“, meinte ein fast verzweifelter Rundfunkreporter. Götze und Lewandowski spielen bei Bayern mit, sie sind vielleicht etwas mehr als reine Mitläufer. Ihr Fehlen bei Dortmund ist dort tatsächlich eine entscheidende Schwäche.
Das zeigte sich beim 1 : 2 des BVB in München. Nach der verletzungsbedingten Auswechslung von Hummels war der eingewechselte Unglücksrabe Subotic an beiden Gegentoren beteiligt. Da halfen die Weltklasseparaden von Weidenfeller nicht mehr. Gleichwohl war es eines der besten Spiele der Saison. Dortmund befindet sich z.Zt. in einer „Ergebniskrise“, nicht in einer Krise im Spiel. Drücken wir die Daumen, dass sie sich davon befreien können.
Der „clasico“ in Spanien zwischen Real Madrid und dem FC Barcelona 3 : 1 war einmal mehr ein Hit. Zwei Systeme prallten aufeinander. Die kompakte Hintermannschaft um Toni Kroos als Anführer baute auf drei superschnelle Stürmer wie Benzema, Ronaldo und Isco. Die konnten von den inzwischen in die Jahre gekommenen Katalanen kaum aufgehalten werden.
Dagegen klappt das schnelle Kurzpassspiel der Barcelonesen nicht mehr. Neymar schoss zwar ein Tor, wurde dann nicht mehr gesehen wie Beisser“ Suarez während des ganzen Spiels. Hatte Messi drei Madrilenen umspielt, klaute ihm der vierte, Sergio Ramos, dann den Ball oder Marcelo ahnte den Pass, den er spielen wollte. Die Einwechslung von Nationalspieler Pedro aus Gran Canaria änderte daran nichts. Der spanische Reporter vergaß nicht, bei Pedro stets „ el Canario“ hinzuzufügen, so als ob man bei Toni Kroos von Toni als dem Mecklenburger sprechen würde. In Spanien wird es wieder spannend in der Meisterschaft. Jetzt hat Barca 0 : 1 gegen Vigo verloren und reiht sich aktuell als Dritter hinter Real und Atletico aus Madrid in der Tabelle ein.
Siegbert Heid, 02. November 2014